SSRI (Selective Serotonin Reuptake Inhibitors) und SSNRI (Selective Serotonin Noradrenalin Reuptake Inhibitors) sind die am häufigsten eingesetzten Antidepressiva. Sie sind im Allgemeinen besser verträglich als z. B. trizyklische Antidepressiva, weisen eine große therapeutische Breite auf und werden auch zunehmend als Koanalgetika eingesetzt. Aktuelle Studienergebnisse legen in den meisten Fällen eine gleichrangig antidepressive Wirkung von SSRI und SSNRI im Vergleich zu trizyklischen Antidepressiva dar. Die antidepressive Wirkung ist ab mittelschweren Depressionen gesichert und korreliert mit dem Serumspiegel des Wirkstoffes. Es ist zu beachten, dass SSRI und SSNRI häufig über CYP450-Enzyme verstoffwechselt werden, die eine hohe funktionelle genetische Varianz zeigen. Die gleiche Dosierung kann daher zu sehr unterschiedlichen Wirkspiegeln führen. Therapien unter Kontrolle des therapeutischen Wirkspiegels erlauben ein schnelleres und sichereres Erreichen des therapeutischen Zieles, woraus sich eine gesteigerte Remissionsrate bei Optimierung der Verträglichkeit ergibt.
Medikamentenspiegel sollten prinzipiell im Steady state (Fließgleichgewicht) und Talspiegel bestimmt werden. Ein Steady state wird nach Ablauf von 5 Eliminations-Halbwertzeiten des verabreichten Wirkstoffes erreicht. Den Talspiegel erreichen Sie mit einer Blutabnahme unmittelbar vor erneuter Medikamenteneinnahme.
Insbesondere wird eine Bestimmung des Wirkstoffspiegels im Serum angeraten bei:
Die pharmakologische Wirkung von SSRI und SSNRI wurde während der Arzneimittelentwicklung hinsichtlich der Blockade des synaptischen Transportproteins für Serotonin bzw. für Noradrenalin optimiert. Damit wird die Wiederaufnahme dieser Transmitter vermindert und ihre Konzentration im synaptischen Spalt erhöht. Gegenüber den klassischen trizyklischen Antidepressiva zeigen sie nur noch minimal deren charakteristische Nebenwirkungen wie z. B. Sedierung oder anticholinerge Symptome (Mundtrockenheit, Tachykardie, Obstipation, etc.). Hinsichtlich proarrhymthischer Wirkungen durch Blockade kardialer Ionenkanäle besteht noch kein abschließendes Bild. Generell ist ein solches Risiko gegeben und wurde z. B. für Citalopram untersucht und bestätigt. Wie bei jeder antidepressiven Therapie setzen unerwünschte Wirkungen (insbesondere Unruhe oder gastrointestinale Beschwerden) vor der, um ca. 1-3 Wochen verzögerten, antidepressiven Wirkung ein.
Wirkstoff
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Muttersubstanz - Metabolit
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Therapeutischer Bereich
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Eliminations- Halbwertzeit |
Frühester Zeitpunkt des Steady State
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Hauptenzyme des Stoffwechsels (inklusive Metabolite) | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Atomoxetin | 200 – 1000 µg/l | 4 – 5 h | 2 d | CYP2D6 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Citalopram | Citalopram | 50 - 110 µg/l | 38 - 48 h | 7 - 10 d* | CYP2C19 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Citalopram | Desmethylcitalopram | 7 - 10 d* | CYP2C19 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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* | CYP2C19 und CYP2D6 zeigen bei ca. 10% der Bevölkerung klinisch relevante genetische Polymorphismen, die die Enzymaktivität deutlich steigern oder vermindern. Die Zeit bis zum Steady State kann daher deutlich kürzer oder länger sein. |
** | Der Wirkspiegel bezieht sich auf die Summe aus Muttersubstanz und aktivem Metaboliten. |
Nach oraler Gabe werden SSRI und SSNRI meist vollständig mit maximalen Serumkonzentrationen nach ca. 4-8 Stunden resorbiert. Sie werden intensiv hepatisch metabolisiert. Einige Medikamente werden dabei zu therapeutisch relevanten, aktiven Metaboliten verstoffwechselt. Die Eliminationshalbwertzeiten der einzelnen Substanzen variieren.
Die klinisch relevanten Details zu Pharmakokinetik, Wirkspiegel bzw. Enzyme des Metabolismus sind in Tabelle 1 dargelegt.
SSRI und SSNRI werden überwiegend durch Cytochrom CYP450-Enzyme hepatisch metabolisiert. Daraus resultiert ein hohes Interaktionspotential, auch deswegen, weil einige SSRI/ SSNRI klinisch relevante Inhibitoren dieser Enzyme sind und ihren eigenen Stoffwechsel hemmen können.<br
Medikamente, die durch Inhibition oder Induktion von Cytochrom CYP450-Enyzmen die Wirkungen und Nebenwirkungen der SSRI und SSNRI beeinflussen und somit zu Interaktionen führen können, sind:
Ferner können sich pharmakodynamische Interaktionen durch die proarrhythmischen Wirkungen insbesondere mit folgenden Substanzen ergeben: ältere Antihistaminika, trizyklische Antidepressiva, Makrolide, Chinolone, Amiodaron, Flecainid und Propafenon. Clonidin sollte wegen seiner prodepressiogenen Wirkung nicht gleichzeitig eingesetzt werden.
SSRI/ SSNRI werden insbesondere durch CYP2C19 und CYP2D6 Enzyme der CYP450-Familie verstoffwechselt. Für diese beiden Enzyme sind genetische Varianten beschrieben, die zu einer klinisch relevanten Steigerung oder Verminderung der Enzymaktivität bei bis zu 10 % der Bevölkerung führen. Dies begründet den Einsatz von TDM bei SSRI/ SSNRI, auch wenn diese eine relative große therapeutische Breite haben. Das Verhältnis Metabolit zu Muttersubstanz kann bei einigen Medikamenten (z. B. Venlafaxin) bereits phänotypisch erste Anhaltspunkte für eine genetische Variante von CYP2D6 oder auch eine relevante Arzneimittelinteraktion über CYP2D6 geben.
Die Bewertung von Wirkstoffspiegeln beinhaltet sowohl die Interpretation der Konzentrationen in Bezug auf den empfohlenen therapeutischen Bereich als auch die Beurteilung der applizierten Dosis, der Begleitmedikation und weiterer Erkrankungen. Um die dafür notwendigen Informationen zu erhalten, bitten wir Sie deshalb, den speziellen Anforderungsschein für Medikamentenspiegelbestimmungen zu verwenden. Es werden methodenbedingt mit einer Anforderung alle aufgeführten Wirkstoffe (außer Atomoxetin, Milnacipran und Vortioxetin) analytisch erfasst, zusätzlich auch Mirtazapin (vgl. Tabelle 1). Dies gibt uns die Möglichkeit, Ihnen weiterführende Angaben zu Komedikationen (ohne zusätzliche Berechnung) geben zu können.
Die Medikamentenspiegelbestimmung ist im kurativen Fall ohne Einschränkung im Leistungsspektrum des EBM und der GOÄ enthalten. Pharmakogenetische Untersuchungen werden von privaten und bei einigen Indikationen (siehe Anforderungsschein Medikamentenspiegelbestimmung/Pharmakogenetik) auch von gesetzlichen Kassen getragen. Für die mitanalysierten Wirkstoffe entstehen keine zusätzlichen Kosten.
Wirkstoffbestimmung
Serum/Vollblut (Blutentnahme im Steady state unmittelbar vor erneuter Medikamenteneinnahme)
Pharmakogenetik:
EDTA-Blut oder Schleimhautabstrich
Ihre Ansprechpartner für die Wirkstoffbestimmung und pharmakologische Bewertung:
Literatur
Autor
Dr. med. Dr. rer. nat. Leif Gerrit Hommers / Revision 2024 Dr. med. Frank-Peter Schmidt
Stand
März 2024